Internationaler
Lantz’scher Skulpturenpark Lohausen 2021
18. Juli bis
12. September 2021
Inmitten der Architektur eines englischen Landschaftsgartens richtet Perseus das Haupt der Medusa in die imaginäre Menge der Parkbesucher*innen und flechtet gleichzeitig Blickbeziehungen zu einer großen Blutbuche und vereinzelten Schmuckvasen in unmittelbarer Nähe. Verwunschene Hecken, eine klassizistische Villa, jahrhundertealte Bäume und Pflanzenarten unterschiedlicher Herkünfte verschränken sich mit abstrakten Skulpturen der Nachkriegszeit und Spuren herrschaftlicher Manifestationen sowie der Geräuschkulisse des unmittelbaren Flugverkehrs, der über der Parkanlage verläuft. Entlang der verschiedenen Akteur*innen versammeln sich im Lantz’schen Park unterschiedliche Zeitlichkeiten, Weltanschauungen und künstlerische Ausdrucksweisen und verdichten den Ort zu einem heterogenen Garten, in dem Erzählstränge wie Fäden durch den organischen Raum der Grünanlage führen. Angeregt von den narrativen Gegebenheiten und Spielräumen des Parks, möchte die Ausstellung Out here in the wild oats amid the alien corn den Ort in einen imaginären Möglichkeitsraum versetzen. Im Spannungsfeld zwischen Imagination, Fiktion und Wirklichkeit befragen die eingeladenen Künstler*innen vergangene und gegenwärtige Narrative, entwickeln spekulative Fabulationen, verschachteln Zeitlichkeiten, reflektieren unsere Lebensformen oder schärfen die Sinne für die Vielzahl lebendiger Perspektiven und Wahrnehmungsweisen, um ein temporäres Netz alternativer und vielstimmiger Erzählungen in den Park zu knüpften. Mythisch, utopisch, kritisch, abstrakt oder konkret wird dabei das erfinderische Vermögen des Geschichtenerzählens nicht als Abkehr von der Wirklichkeit aufgefasst, sondern als emanzipatorisches Werkzeug zur Bearbeitung und Erweiterung gemeinsamer Narrative und Betrachtungsweisen.
Welche kollektiven Erzählungen prägen unser Zusammenleben? Welche Wirklichkeiten produzieren wir in Bildern, im alltäglichen Sprechen, Denken und Handeln? Wer spricht und nimmt den Faden auf, wer schneidet ihn durch und spinnt ihn weiter? Inwieweit können fiktive Erzählweisen Räume alternativer Wissensproduktion bilden und nicht zuletzt auch zu politischen Werkzeugen werden?
Die Fäden, die in der Ausstellung aufgegriffen oder neu verflochten werden, spinnen Verbindungen zu Fadenspielen, die die Biologin und feministische Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway als Modelle für die Gestaltung mehrperspektivischer Erzählweisen heranzieht. Eine um die Finger gespannte Kordel lässt individuell oder im Kollektiv verschiedene Figuren erzeugen und ist neben ihrer weithin bekannten Funktion als Spiel auch eine kulturelle Praxis des Geschichtenerzählens. Weitere Fäden der Ausstellung flechten Verwandtschaften zu den Körben und Behältnissen, die die Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin in ihrem 1986 erschienenen Essay The Carrier Bag Theory of Fiction für die Entwicklung von Geschichten ausmacht. Rückblickend auf die Menschheitsgeschichte befragt Le Guin unsere primären Erfindungen auf ihre narrativen Eigenschaften und schlägt vor, die Tragebehältnisse von Sammler*innen als Denkfiguren des Geschichtenerzählens wirksam zu machen. Der gefüllte Beutel wird dabei zum Gefäß für unterschiedliche Blickwinkel und Stimmen, das es erlaubt, unaufgeräumte, komplexe und ungelöste Erzählungen zu denken. Eine Zeile aus dem Essay Le Guins bildet den Titel der Ausstellung und verweist auf einen Handlungsrahmen fern von der Beanspruchung „einer“ dominierenden Erzählung.
Neben Skulpturen, die für die gesamte Ausstellungsdauer auf dem Areal des Parks zu sehen sein werden, wird es ein Programm mit Performances, Workshops, Tanzstücken, Soundarbeiten, Lesungen, Konzerten sowie einer Lesegruppe geben.
Kuratiert von Sean Mullan und Victoria Tarak
Ein Projekt der
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